Eine "Ausfahrt" mit Folgen

Fall 4
Allgemeiner Teil:
  • Kausalität und Zurechnung
  • Vorsatz
Besonderer Teil I:
  • Körperverletzungsdelikte
Besonderer Teil II:
  • Diebstahl
  • Raub und Erpressung
  • Unterschlagung
Schwierigkeit:
  • Hausarbeiten (Fortgeschrittene)

Wo das Parken gefährlich wird.

Mustafa Özakin (M) geht gerade die aktuellen Zahlen seiner kleinen Schneiderei durch, als er durch das Klingeln der Tür aus seinen Gedanken gerissen wird. Seine Enkelin Yasemin (Y) kommt hereingestürmt. Diese ist völlig außer Atem und redet mit sich überschlagender Stimme auf M ein. Ob er es schon gehört habe, gestern sei der Leichnam von Ozan Gökcan (O) auf einem abgelegenen Parkplatz am Rande der Barker Heide gefunden worden. O ist der Sohn eines Großcousins des M. Um Y zu beruhigen kocht M ihr erst einmal einen Tee. Beide reden ausführlich und spekulieren viel darüber, wer für das Verbrechen verantwortlich zu machen sei. Zwei Tage später liest M folgendes im Nachrichtenblatt für Kiel: „Autobahn Mörder gefasst“ – Der Polizei war es möglich, folgenden Sachverhalt zu rekonstruieren:

„Holger Heinze (H) wollte sich zusätzliche Einkommensquelle verschaffen. Sein Plan sah vor, Personen zur Herausgabe ihrer Bankkarten samt PIN zu zwingen. Dazu wollte er seinen Opfern Angst machen. H behielt sich sogar vor, die Opfer mit einer Schusswaffe zu bedrohen und nötigenfalls Gewalt anzuwenden. Ernsthaft verletzen wollte er dabei jedoch niemanden.

H erspähte auf einem Parkplatz den O, der gerade aus seinem 5er BMW gestiegen ist und Richtung Toiletten eilte. Als sich O auf dem Rückweg zu seinem Wagen befand, zwang H den O in sein Auto einzusteigen und seinen Anweisungen Folge zu leisten. Dabei zielte er mit einer geladenen Schusswaffe auf O. Bei der Autobahnausfahrt Bad Bramstedt musste O auf Geheiß des H in Richtung Barker Heide abfahren. Auf einem abgelegenen Parkplatz am Rande der Barker Heide ließ H den O den Wagen stoppen. Dort fühlte sich H unbeobachtet genug, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Mit den Worten: „Rück deine Bankkarten und die dazugehörigen PIN-Nummern ´raus oder dein letztes Stündlein hat geschlagen“, wollte er den O zur Herausgabe der Karten samt PIN veranlassen. O ging zwar davon aus, dass H ohne seine Mitwirkung jedenfalls nicht die PIN erfahren würde, allerdings nahm er die Drohung des H ernst und wollte eine weitere Eskalation der Situation vermeiden. Deshalb suchte O seine beiden Bankkarten heraus, eine von der KSH Bank AG und eine von der Förde Sparkasse, die H dem O aus der Hand nahm. Die PIN zu der Bankkarte der KSH Bank AG teilte O dem H sofort mit. Auf dem dazugehörigen Konto befand sich ein Guthaben in Höhe von 2000 €. H wollte dem O die EC-Karten nach dem geplanten Abhebevorgang wieder zurückgeben. O, der die PIN für die Sparkassen-Karte nicht auswendig wusste, teilte dies dem H mit und sagte, dass die PIN jedoch auf seinem Laptop gespeichert sei. Da sich der Laptop im Kofferraum befand, gestattete H dem O, seinen Laptop aus dem Kofferraum zu holen und diesen zu benutzen. Als nach wenigen Sekunden ein sich drehender Briefumschlag auf dem Bildschirm erschien, dachte H irrtümlich, dass O versucht hatte, Hilfe zu verständigen. Diese nicht vorhergesehene Wendung des Geschehens versetzte H in Panik. Um die Flucht vom Tatort abzusichern, schlug H den O nieder und begann auf dessen Kopf- und Halsbereich einzutreten. Durch die heftigen Tritte erlitt O ein Schädel-Hirn-Trauma sowie einen Kehlkopfbruch, an dessen Folgen er unmittelbar verstarb. Damit, dass O durch die Tritte sterben könnte, rechnete H nicht. H flüchtete daraufhin mit dem 5er BMW des O, hielt am nächstgelegenen Geldautomaten der KSH Bank AG an, hob 1000 € mit der Karte des O ab und steckte diese in sein Portemonnaie. Danach stellte er den Wagen des O auf einem Parkplatz vor einem Möbelhaus in Raisdorf ab und ging dabei davon aus, dass das Fahrzeug gefunden werden würde. Er ließ alle Wertgegenstände im verschlossenen Fahrzeug zurück.“

Geschockt über so viel kriminelle Energie im schönen Kieler Umland lässt M die Zeitung neben seine Teetasse sinken. Sofort nimmt er den Hörer des Festnetztelefons in die Hand und wählt die Nummer der Familie Gökcan, um auf diesem Wege sein Beileid zu bekunden.

Strafbarkeit des H nach dem StGB?

Die §§ 202a, 248b, 265a, 266b, 269, 274, 303a, 316a StGB sind nicht zu prüfen.

Vorüberlegungen

In wie viele Handlungs­abschnitte muss der Sachverhalt gegliedert werden?  Struktur

Der Sachverhalt sollte in zwei Handlungs­abschnitte gegliedert werden, und zwar in das Geschehen rund um den Rastplatz und das "Geldabheben".

1. Handlungsabschnitt: Das Geschehen rund um den Rastplatz

Welche Delikte kommen in Betracht?  Denkanstoß

In Betracht kommen:

  • (Schwerer) Raub gem. § 249 I
  • Schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1
  • Räuberische Erpressung mit Todesfolge gem. §§ 253, 255, 251
  • Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge gem. § 239a I Var. 1, III
  • Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223 I, 227
A. Raub gem. § 249 I

Wie bauen Sie den § 249 I StGB auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde Sache
b) Wegnahme
Wie definiert man die Wegnahme?  Definition

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams.

Welches Definitionsmerkmal der Wegnahme ist Rahmen des § 249 I problematisch?  Wissen

"Durch Bruch", da umstritten ist, wie das Einverständnis zu bewerten ist: nach dem objektiven Erscheinungsbild (so die Rspr.) oder nach der inneren Willensrichtung (so die h.M.). Außerdem siehe Bild rechts.

aa) Gewahrsams­ver­schiebung

O überführte die Karte aus seiner Körpergewahrsamssphäre in die Gewahrsamssphäre des H.

bb) Durch Bruch: Einverständnis?
  • Äußeres Erscheinungsbild (Rspr.): Nehmen, daher Einverständnis (-)
    Innere Willensrichtung (Lit.): O hätte den Übergang des Gewahrsams nicht verhindern können, daher Einverständnis (-)
  • Nach beiden Ansichten liegt kein Einverständnis in die Gewahrsamsverschiebung vor.
  • Daher: durch Bruch (+)
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Zueignungsabsicht
Wann liegt Zueignungsabsicht vor?  Definition

Zueignungsabsicht verlangt Vorsatz hinsichtlich einer dauernden Enteignung sowie Absicht hinsichtlich einer mindestens vorübergehenden Aneignung.
Außerdem siehe Bild rechts.

Was ist Gegenstand der Enteignung?  Problem

Siehe Bild rechts

  • Das ist streitig und hängt davon ab, ob man die (enge/weite) Substanztheorie oder die (enge/weite) Sachwerttheorie vertritt. Allerdings ist es in einer Klausur nicht zwingend, die Theorien "aufzuzählen", stattdessen sollte man sich vergegenwärtigen, was der Täter "behalten" wollte.
    Siehe Bild rechts.
  • H wollte die EC-Karte zurückbringen, aber Geld mit der Karte abheben und es behalten.
Ist das Geld ein der EC-Karte innewohnender Funktionswert, der Gegenstand der Enteignung sein kann?  Problem
  • Nein, die EC-Karte fungiert nur als Schlüssel und eröffnet den tatsächlichen Zugang zum im Automaten verwahrten Geld.
  • Der Funktionswert der EC-Karte konnte sich durch das Geldabheben daher nicht mindern.
    Daher Enteignungsvorsatz (-)
II. Ergebnis: § 249 I

B. Schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 durch Preisgabe der PIN

Tatobjekt des Raubes war eine Sache, die EC-Karte. Tatobjekt der Erpressung ist jetzt das Vermögen. Da die Übergabe einer Plastikkarte an sich nicht das Vermögen schädigen wird, ist für die Vermögens­schädigung auf die Preisgabe der PIN abzustellen.  Hinweis
Wie bauen Sie die räuberische Erpressung auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für das Leben des O.

b) Vermögensschaden
Da umstritten ist, welche Verknüpfung zwischen Vermögensschaden und Nötigungsmittel zu fordern ist (bloße Kausalität, Rspr. oder eine Vermögensverfügung, h.M.), ist es m.E. sinnvoller den Vermögensschaden vor der Verfügung bzw. Kausalität zu prüfen.  Hinweis
Wie ist der Umstand zu bewerten, dass durch die Preisgabe der PIN allein grundsätzlich noch keine endgültige Vermögens­minderung eintritt, da es als Zwischenschritt noch des Abhebens des Geldes durch H bedarf?  Problem
aa) Schadensgleiche Vermögens­gefährdung
Wann liegt ein Vermögensschaden vor?  Definition

Ein Vermögensnachteil ist dann zu bejahen, wenn der Wert des abgenötigten Gegenstands keiner dafür erlangten Gegenleistung entspricht.

  • Die Preisgabe der PIN könnte eine schadensgleiche Vermögensgefährdung begründen.
    Nach der Rspr. des BVerfG und ihm folgend des BGH ist die Höhe der Vermögensminderung im Zeitpunkt der Verfügung konkret festzustellen und zu beziffern.
  • Problematisch ist, dass im Zeitpunkt der (Gefährdungs-)Schadensfeststellung die gewonnene Zahl lediglich eine Bewertung der künftigen Zahlungsströme und damit nichts anderes als eine unsichere Prognose ist.
  • Aber: Erwerb der EC-Karte und der PIN gewährt eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Geld, verbunden mit hoher Verlustwahrscheinlichkeit.
Es ist i.E. auch sehr gut vertretbar, einen Gefährdungsschaden im vorliegenden Fall abzulehnen, da der H ja noch weitere Zwischenschritte vornehmen musste, um den endgültigen Schaden herbeizuführen.  Hinweis
bb) Person des Geschädigten
  • Sofern man davon ausgeht, dass die Bank die Geschädigte ist, da sie die belastende Buchung gem. § 675u I 2 BGB rückgängig machen muss, ist eine Dreieckserpressung anzunehmen.
  • Zwischen dem Konto- und Karteninhaber O und der kartenausgebenden und kontoführenden Bank besteht eine Geschäftsbeziehung, die als Nähebeziehung aber ausreicht.
cc) Zwischenergebnis: Vermögensschaden (+)
c) Verknüpfung
Umstritten ist, ob der Vermögensschaden durch eine Verfügung verursacht werden muss oder ob bloße Kausalität zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und dem Vermögensschaden ausreicht.  Problem

Siehe Bild rechts

Falsch wäre es hier, nach dem objektiven Erscheinungsbild abzugrenzen. Die „Geben-Nehmen-Formel“ der Rspr. ist ausschließlich für die Frage von Relevanz, ob ein Einverständnis im Rahmen der Wegnahme i.S.d. § 249 I vorliegt. Für die Antwort auf die Frage, ob eine Vermögensverfügung vorliegt, darf sie keine Anwendung finden. Denn die Rspr., die auf diese „Geben-Nehmen-Formel“ rekurriert, verlangt ja gar keine Vermögensverfügung und würde auch bei einem „Nehmen“ eine Erpressung nach § 253 bejahen. Und die h.M., die eine Verfügung verlangt, stellt nicht auf das äußere Erscheinungsbild (Geben oder Nehmen) ab, sondern ausschließlich auf die innere Willensrichtung.  Typischer Fehler
aa) Vermögensverfügung
  • Verfügung liegt bei Entschlussfreiheit vor, die wiederum gegeben ist, wenn der Genötigte meint, eine Wahl zu haben zwischen der Aufgabe einer vermögenswerten Position und dem Erdulden der Gewalt oder des angekündigten Übels.
  • Daher: Mitwirkung des Opfers ist hier erforderlich
bb) Kausalität der Nötigung für den Vermögensnachteil

Ohne Drohung hätte O nicht die PIN preisgegeben.

cc) Zwischenergebnis: Verknüpfung (+)
d) Qualifikation nach § 250 II Nr. 1

Verwendung einer Schusswaffe im Rahmen der Drohung ist ausreichend.

2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Bereicherungsabsicht
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Ergebnis: §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1

C. Versuchte schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I bzgl. der Preisgabe der PIN zum Konto der Förde Sparkasse

D. Räuberische Erpressung mit Todesfolge gem. §§ 253 I, 255, 251

Wie bauen Sie den § 249 I StGB auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Grundtatbestand: §§ 253 I, 255
2. Eintritt der schweren Folge - Tod eines anderen Menschen

O ist verstorben.

3. Unmittelbar­keits­zu­sammenhang zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge

Der Tod des O muss durch die räuberische Erpressung verursacht worden sein, d.h. in dem tödlichen Ausgang der Tritte und Schläge muss sich die dem Grundtatbestand des §§ 253, 255 anhaftende eigentümliche Gefahr niedergeschlagen haben.

a) Setzen einer rechtlich missbilligten Gefahr
b) Realisierung der rechtlich missbilligten Gefahr im Todeseintritt
Warum könnte der „Realisie­rungs­zu­sammenhang“ hier problematisch sein? Beachten Sie den Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge!  Problem

Umstritten ist, ob die sich die dem Tatbestand der Erpressung anhaftenden Gefahr im Tod realisiert hat, wenn die tödliche Gewalt erst nach Vollendungseintritt des Grundtatbestandes angewendet wurde.

aa) Zurechnung trotz Beendigungsstadium
  • Bei einer auf den Zweck der Vorschrift des § 251 abstellenden Betrachtungsweise könnte der besondere Zusammenhang auch dann gegeben sein, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit dem Vermögensschaden steht, sie mit dem Erpressungsgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Erpressung eigentümliche besondere Gefährlichkeit verwirklicht.
  • Daher: Gewaltanwendung steht im Zusammenhang mit erpressungsbedingter Anspannung
  • Daher: Zurechnung (+)
bb) Keine Zurechnung im Beendigungsstadium
  • Erfolgt die tödliche Gewaltanwendung nach Vollendung des Grundtatbestands, kann der Tod nicht mehr "durch" den Grundtatbestand verwirklicht werden.
  • Daher: Zurechnung (-)
cc) Stellungnahme
  • Es gibt keine klare Definition des Begriffs "Beendigungsstadium", daher kann daran nicht für die Strafbarkeit angeknüpft werden.
  • Ist der Tatbestand erfüllt und die tödliche Gewalthandlung wird es später vorgenommen, dann ist der Tod nicht "durch" den Grundtatbestand, sondern "danach" eingetreten.
  • Für eine Gewaltanwendung im Beendigungsstadium eines Raub oder Erpressungsdelikts gibt es ausschließlich § 252
  • Die Tat ist nicht einmal durch eine "verlängerte Bereicherungsabsicht" geprägt, sondern ausschließlich von einer "Fluchtsicherung", die in keinem Zusammenhang zum Grunddelikte steht.
dd) Zwischenergebnis: Unmittelbar­keits­zu­sammenhang
II. Ergebnis: §§ 253 I, 255, 251

E. Versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge gem. §§ 253 I, 255, 22, 23 I, 251 bzgl. der Preisgabe der PIN der Sparkassen-Karte

F. Erpresserischer Menschenraub gem. § 239a I Var. 1

Wie bauen Sie § 239a I auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Wann liegt ein Entführen vor?  Definition

Entführen bedeutet das Verbringen eines anderen Menschen an einen Ort, an dem er dem uneingeschränkten Einfluss des Täters ausgesetzt ist. Neben einem Ortswechsel ist somit die Begründung physischer Herrschaftsgewalt des Täters über das Opfer erforderlich.

Entführen (+) durch Herbeiführen eines Ortswechsels und Verbringen in Herrschaftsgewalt.

2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Erpressungsabsicht

Entführung in der Absicht, die PIN preiszugeben.

Soweit in einem Zwei-Personen-Verhältnis eine restriktive Auslegung des Tatbestands dahingehend gefordert wird, dass eine stabile Zwischenlage bestehen muss, so liegt diese jedenfalls vor. Der BGH geht davon aus, dass diese Restriktion nur im Falle des Bemächtigens erforderlich ist, da die stabile Zwischenlage im Fall der Entführung ohnehin immer vorliege.  Hinweis
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Ergebnis: § 239a I Var. 1

G. Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge gem. § 239a I Var. 1, III

I. Tatbestand
1. Grundtatbestand
2. Schwere Folge – Tod eines anderen Menschen
3. Unmittelbar­keits­zu­sammenhang
Aus welchem Grund können Sie nicht einfach auf die Ausführungen zu § 251 verweisen? Worin unterscheiden sich § 251 und § 239a III im konkreten Fall?  Denkanstoß

Im Unterschied zur Erpressung handelt es sich bei dem erpresserischen Menschenraub um ein Dauerdelikt. um Zeitpunkt des Todeseintritts dauerte die Entführungslage noch an, so dass – anders als bei der räuberischen Erpressung – die schwere Folge nicht erst im Beendigungsstadium, sondern noch im Ausführungsstadium der Tat eintritt.

4. Leichtfertigkeit
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Ergebnis: § 239a I Var. 1, III

H. Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223 I, 227

Darüber hinaus hat sich H durch die Schläge und Tritte wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223 I, 227 strafbar gemacht.

Gesamtergebnis im ersten Handlungsabschnitt

H hat sich im ersten Handlungsabschnitt wegen schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge gem. § 239a I Var. 1, III und wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223 I, 227 strafbar gemacht. Beim Entführungstatbestand nach § 239a I Var. 1 ist aus Klarstellungsgründen im Verhältnis zur Erpressung Tateinheit anzunehmen. Dies gilt auch für das Verhältnis zu § 227.

2. Handlungsabschnitt: Das Abheben des Geldes

Welche Delikte kommen in Betracht?  Denkanstoß
  • Diebstahl gem. § 242 I
  • Computerbetrug gem. § 263a I Var. 3
  • Unterschlagung gem. § 246 I der EC-Karten
A. Diebstahl gem. § 242 I bzgl. der Geldscheine

Wie bauen Sie den Diebstahl auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde bewegliche Sache
Warum könnte die Fremdheit problematisch sein?  Denkanstoß
Problematisch ist, ob die Geldscheine im Zuge des Auszahlungsvorgangs gem. § 929 S. 1 BGB an H übereignet worden sind.  Problem

Unabhängig davon, ob sich das Übereignungsangebot ausschließlich an den berechtigten Kontoinhaber richtet oder darüber hinaus auch an all diejenigen, die durch die Verwendung der EC-Karte und der PIN den Abhebevorgang herbeiführen, ist es für den Tatbestand des § 242 I nicht ausreichend, dass durch die Gewahrsamsverschiebung Eigentum begründet wurde.
Zu Beginn der Wegnahmehandlung war die Sache jedenfalls fremd.

b) Wegnahme
aa) Gewahrsams­ver­schiebung

H hat neuen Gewahrsam begründet.

bb) Durch Bruch
Wie wirkt es sich aus, dass die Bank – wie durch die Aufstellung des Automaten erkennbar wird – zunächst mit all jenen Gewahrsamswechseln einverstanden, die unter äußerlich funktionsgerechter Bedienung des Geldautomaten herbeigeführt werden?  Denkanstoß
Fraglich ist, ob das generelle bzw. antizipierte Einverständnis, dass mit der Aufstellung des Automaten verbunden ist, an eine Bedingung geknüpft werden kann.  Problem

Siehe Bild rechts

Hier geht es um das Einverständnis in die Gewahrsams­ver­schiebung bzw. Gewahrsams­aufhebung. Das wird fälschlicherweise von Studierenden häufig mit dem Einverständnis in die Eigentums­übertragung gleichgesetzt. Eigentums­übertragung (bezieht sich auf die Fremdheit der Sache) und Gewahrsams­übertragung sind aber strikt zu trennen.  Typischer Fehler
(1) Uneingeschränkte Verknüpfung möglich (Lehre vom bedingten Einverständnis)
  • Das Einverständnis kann uneingeschränkt an jede Bedingung geknüpft werden. Aus diesem Grund will die Bank nur an Berechtigten Gewahrsam übertragen. Daher ist die Bedingung nicht erfüllt.
  • Daher: Einverständnis (-) und dementsprechend durch Bruch (+)
(2) Lehre von der verobjektivierten Bedingung
  • Die wirksame Bedingung kann nur an solche Umstände geknüpft werden, die in mechanischen Gewahrsamsschranken einen objektivierten Ausdruck gefunden haben. Hier wurden PIN und Karte auf „Zusammengehörigkeit“ überprüft. Daher ist die Bedingung erfüllt und ein Einverständnis liegt vor.
  • Daher: durch Bruch (-)
(3) Stellungnahme
  • Einverständnis fungiert als Merkmal zur Abgrenzung von Fremdschädigungs- und selbstschädigenden Betrugstaten
  • § 242 I ist Fremdschädigungsdelikt: Gewahrsamsbruch ist als sichtbarer Bruch zu konkretisieren
  • Verwendung einer EC-Karte und der dazugehörige PINentspricht nicht dem Normtyp der friedensstörenden Wegnahme
(4) Zwischenergebnis: Einverständnis (+) und dementsprechend durch Bruch (-)
2. Zwischenergebnis: Wegnahme (-)
II. Ergebnis: § 242 I

B. Computerbetrug gem. § 263a I Var. 3

Wie bauen Sie den Computerbetrug auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Datenverwendung

Sowohl bei der eingegebenen PIN, als auch bei den Informationen, die auf der EC-Karte gespeichert sind, handelt es sich um Daten i.S.d. § 263a.

b) Unbefugt
Wie wirkt es sich aus, dass die Bank – wie durch die Aufstellung des Automaten erkennbar wird – zunächst mit all jenen Gewahrsamswechseln einverstanden, die die unter äußerlich funktionsgerechter Bedienung des Geldautomaten herbeigeführt werden?  Denkanstoß
Umstritten ist, wie das Merkmal „unbefugt“ ausgelegt werden muss.  Problem

Siehe Bild rechts

Im Gegensatz zum Diebstahl gem. § 242 I ist der Computerbetrug gem. § 263a I ein Selbstschä­di­gungsdelikt.  Hinweis
aa) Betrugsnahe Auslegung

Nach der sog. betrugsnahen Auslegung sind nur täuschungsäquivalente Verhaltensweisen unbefugt. Das Verhalten des Täters muss, wenn es hypothetisch betrachtet einem Menschen gegenüber erfolgt wäre, als (ggf. konkludente) Täuschung zu bewerten sein.

Uneinigkeit besteht darin, was dieser "hypothetische Mensch" prüfen darf.  Problem

Siehe Bild rechts

(1) Täuschungs- und Irrtumsäquivalent
  • Was würde der fiktive Mensch, der an die Stelle des Computers träte, prüfen?
  • Nur Tatsachen, die Gegenstand der im Datenverarbeitungsprogramm angelegten Prüfungen des Computers sind.
  • Passen Karte und PIN "zusammen"? Ja, daher: unbefugt (-)
(2) Normativer Ansatz
  • Rückgriff auf einen normativen Täuschungsbegriff: Es ist wie beim Betrug danach zu fragen, ob der Täter seine Befugnis zur Vornahme der Handlung konkludent vorspiegelt.
  • H hat die Vollmacht vorgetäuscht und daher unbefugt gehandelt.
bb) Subjektive Auslegung
  • Die Verwendung von Daten ist unbefugt ist, wenn sie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Berechtigten an den Daten widerspricht.
  • O bzw. die Erben sind mutmaßlich nicht damit einverstanden, dass H das Geld abhebt.
  • Daher: unbefugt (+)
cc) Computerspezifische Auslegung
  • Ein unbefugtes Handeln liegt nur vor, wenn die mangelnde Befugnis des Handelnden in der konkreten Programmgestaltung durch eine Prüfungsroutine überprüft wird und der Täter diese durch eine nicht ordnungsgemäße Bedienung überwindet. Hier wurde der Abfragevorgang weder überwunden noch manipuliert.
  • Daher: unbefugt (-)
dd) Stellungnahme
  • systematische Betrugsnähe der Vorschrift ist zu berücksichtigen à computerspezifische Auslegung zu eng, subjektive zu weit, weil gar keine Eingrenzung stattfindet
  • Wie ist fiktive Vergleichsperson zu bestimme? Realer Sachbearbeiter in der vergleichbaren Situation oder Person, die auf Prüfprogramm des Computers beschränkt ist?
  • Letztes ist zu eng an computerspezifischer Auslegung
  • 263a systematisch ein Ergänzungstatbestand zum Betrug, Auslegungsgrundsätze zur konkludenten Täuschung müssen Beachtung finden
  • Daher: Unbefugt (+)
c) Ergebnis eines Datenvera­r­bei­tungsvorgangs beeinflusst
Ist das Ingangsetzen eines Datenvera­r­bei­tungsvorgangs auch eine "Beeinflussung des Ergebnisses"?  Problem

Das Ergebnis beeinflusst kausal jedoch auch derjenige, der die Datenverarbeitung in Gang setzt. Das Initiieren eines neuen Datenverarbeitungsvorgangs ist die wohl denkbar stärkste Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs darstellt und kann daher nicht ausgeschlossen werden.

d) Vermögensschaden

Das abgehobene Geld stammt aus dem Vermögen der Bank (siehe oben zu § 253), eine Kompensation erfolgt nicht.

2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Bereicherungsabsicht
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
Ergebnis: § 263a I Var. 3

C. Unterschlagung gem. § 246 I der nun doch einbehaltenen EC-Karten

Gesamtergebnis im zweiten Handlungsabschnitt

H hat sich wegen Computerbetrugs gem. § 263a I Var. 3 strafbar gemacht. § 246 I tritt als mitbestrafte Nachtat zurück.

Endergebnis

H hat sich tateinheitlich wegen schwerer räubersicher Erpressung, erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge, Körperverletzung mit Todesfolge in Tatmehrheit zum Computerbetrug gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 239a I Var. 1, III, 223 I, 227, 52 I; § 263a I Var. 3; § 53 I strafbar gemacht.