Neues aus dem "Hafenburschen": Zwischen Giftanschlag und Prügelattacke
Fall 2Die Machenschaften des Theodor Treffsicher - aus erster Hand von Inga und Bodo Rowski.
Wirtin Inga Rowski hat viel zu tun: In ihrer Hafenkneipe begießt der zum Stamminventar der Kneipe gewordene Shantychor das Dahinscheiden eines seiner langjährigsten Mitglieder Otto Ohnesorg (O). Inga, die die Umstände seiner letzten Stunden aus erster Hand kennt, weiß die Geschichte so hautnah zu schildern, dass die Shanty´s an ihren Lippen hängen. Theodor Treffsicher (T), der Neffe des O, arbeitet im Unternehmen des T als angestellter Arbeitnehmer. Nach jahrelanger Schufterei ohne bisher einen nennenswerten finanziellen Vorteil vom Wohlstand seines Onkels gehabt zu haben, meinte T, es sei Zeit, dass nun auch er endlich von dem Vermögen der Familie profitiere. T beschloss daher, den O umzubringen, um den mit Sicherheit erheblichen Erbanteil zu kassieren. Auch Bernhard Birne (B), ein weiterer Angestellter des O, fasste (unabhängig von T) den Entschluss, den O zu töten, da er schon länger den Eindruck hatte, O wolle ihn loswerden. B wollte so einer vermeintlich bevorstehenden Kündigung entgehen. T und B hatten unabhängig voneinander den Einfall, den O zu vergiften. Beide wussten, dass O zur Mittagszeit immer das Nahrungsergänzungsmittel „Orthomol Cardio“ einnimmt. Dazu rührte O täglich den Inhalt eines Beutels mit Granulat in ca. 150 – 200 ml Fruchtsaft ein. B kam auf die Idee, das Granulat mit einer, diesem zum Verwechseln ähnlich aussehenden, jedoch tödlich wirkenden Giftsubstanz auszutauschen und setzte diesen Plan in die Tat um. Unabhängig davon vergiftete auch der T mit einer tödlich wirkenden Menge Gift den Fruchtsaft. Am nächsten Tag schenkte sich O getreu dem Motto „Orthomol Cardio – Alles, was das Herz begehrt“ ein Glas mit dem vergifteten Fruchtsaft ein, schüttete sodann das vergiftete Granulat hinein und trank das „Gebräu“ aus. Doch statt sein Herz-Kreislauf-System bis ins hohe Alter fit zu halten, bewirkte das Getränk zwei Stunden nach der Einnahme den Tod des O. Die rechtsmedizinische Untersuchung ergab, dass sowohl die Giftmenge im Fruchtsaft als auch die Menge an toxisch wirkendem Granulat jeweils allein bereits tödlich gewesen wären. Außerdem wurde festgestellt, dass O sowohl das Gift des T als auch das Gift des B absorbiert hatte.
Doch damit nicht genug: Bodo Rowski – seines Zeichens Polizist – weiß noch mehr über den von ihm überführten T zu berichten: T ist aushilfsweise als geringfügig-beschäftigter Schulbetreuer an der Ricarda-Huch-Schule in der Hansastraße beschäftigt. Die Tätigkeit und der Umgang mit den Kindern gefallen ihm gut. Da T der Meinung ist, Kinder müssten sich auch in der Schule etwas ausleben können, unterstützt er gern das wilde Toben der Kinder auf dem Schulhof. Dabei integriert er sich oft selbst in die Spiele der Kinder. Eines Tages ging es ihm allerdings etwas zu wild zur Sache und er wollte sich kurz für eine Pause zurückziehen. T begab sich dafür auf einen anderen Teil des Hofs. Die Kinder realisierten nicht, dass T nicht mehr mit ihnen spielen wollte, so dass eine Gruppe von sieben Jungen ihn verfolgte. Im weiteren Verlauf verloren die Kinder plötzlich alle Hemmungen und schlugen und bespuckten den T. T versuchte zunächst verbal auf die Kinder einzuwirken, was aber erfolglos blieb. Auch das Wegschieben der Jungen beruhigte die Lage nicht. Seinen in der Nähe sitzenden hauptamtlich tätigen Kollegen wollte er nicht um Hilfe bitten, da er sich von diesem in der Klasse unerwünscht fühlte, auch wenn er davon ausging, dass dieser ihm geholfen hätte, die Kinder zur Räson zu bringen. Auch einen Rückzug in das Schulgebäude verwarf T, da er für diesen Fall – zu Recht – Sanktionen seitens der Behörden für die Verletzung seiner Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern fürchtete. Um den Angriff schließlich zu beenden, versetzte er dem ihm am nächsten stehenden Kind K eine Ohrfeige. K erlitt nicht unerhebliche Schmerzen, die nach ca. zwei Stunden wieder abklangen. Die nunmehr geschockten Kinder beendeten ihre Attacken.
Strafbarkeit des T nach dem StGB? §§ 211, 224, 225 StGB sind nicht zu prüfen!
Vorüberlegungen
Der Sachverhalt muss in zwei Handlungsabschnitte gegliedert werden, und zwar in das Geschehen rund um den Fruchtsaft und das Geschehen auf dem Schulhof.
1. Handlungsabschnitt: Die Vergiftung des Fruchtsafts
Totschlag gem. § 212 I
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Tod eines anderen
b)
Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist eine Handlung dann kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
• Abgebrochene bzw. überholende Kausalität
• Anknüpfende bzw. fortwirkende Kausalität
• Kumulative Kausalität
• Alternative Kausalität
T und B haben unabhängig voneinander eine für O tödliche Bedingung gesetzt, die zwar zusammenwirken, aber auch für sich allein zur Herbeiführung des Todeserfolgs ausgereicht hätten. Es handelt sich folglich um einen Fall der alternativen Kausalität.
Jede der beiden Giftgaben kann hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Dann könnte man die Ursachenqualität beider Giftbeigaben negieren und damit die Kausalität verneinen.
Die conditio-sine-qua-non-Formel wird im Fall der alternativen Kausalität modifiziert. Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede für den Erfolg ursächlich. Dann ist T kausal.
Nein, denn wenn man genau hinschaut, liegt ein Fall der kumulativen Kausalität vor.
Jedenfalls hat eine Teilgiftmenge des B und eine des T ihre Wirksamkeit entfaltet, mit der Folge, dass O faktisch am Zusammenwirken der Teilgiftmenge verstorben ist.
c) Objektive
aa) Setzen einer rechtlich missbilligten
Die Giftverabreichung setzt eine rechtlich missbilligte Gefahr, die nicht deswegen nicht riskant ist, weil B auch Gift verabreicht hat.
bb) Realisierung der Gefahr im
Die Tat war jedenfalls auch das Werk des T, mit der Folge, dass sich die von ihm gesetzte Gefahr im Todeserfolg realisiert hat und der Tod dem T objektiv zugerechnet werden kann.
2. Subjektiver
Es liegt Vorsatz in Form des dolus directus 1. Grades vor.
II. Rechtwidrigkeit und
III. Ergebnis: § 212
2. Handlungsabschnitt: Auf dem Schulhof
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Körperliche
Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
b)
Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands, der einer Heilung bedarf.
1. Notwehrlage
a)
Ein Angriff ist ein menschliches Handeln, das eine noch nicht endgültig abgeschlossene Rechtsgutsverletzung verursacht oder einen Zustand, der die unmittelbare Gefahr einer Rechtsgutsverletzung begründet.
Das Bespucken eines Menschen verletzt dessen körperliche Integrität. Ein Angriff liegt somit vor.
Das Bespucken des T durch die Kinder findet gerade statt. Somit ist der Angriff gegenwärtig.
c)
2. Notwehrhandlung
a) Eingriff in Rechtsgüter des
b) Erforderlichkeit
aa)
Eine Ohrfeige ist ein probates und mithin geeignetes Mittel, um den Angriff zu beenden.
bb) Mildestes
Auf die Inanspruchnahme fremder Unterstützung (weder privater noch hoheitlicher Art) kann nicht verwiesen werden, wenn diese erst herbeigeholt werden müsste. In diesem Fall müsste der Angegriffene faktisch zunächst ausweichen. Dies verstößt aber gegen das Rechtsbewährungsprinzip, wonach das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.
K ist noch ein Kind und handelte damit gem. § 19 schuldlos.
Nach dem Dreistufenprinzip muss das Opfer zunächst versuchen, dem Angriff auszuweichen, auch unter Inkaufnahme leichterer Beeinträchtigungen. Ist das nicht möglich, darf der Angegriffene Schutzwehr ausüben. Erst wenn die Schutzwehr den Angriff nicht beendet, ist der Angegriffene berechtigt, Trutzwehr auszuüben und darf damit aktiv in die Rechtsgüter des Angreifers eingreifen.
Der Verteidiger hat bei einem Angriff Schuldloser zwecks schonenderer Beendigung des Angriffs fremde Hilfe herbeizuholen.